„Die Ostdeutschen sind als Ostdeutsche erst nach 1989 entstanden“ (Wolfgang Engler)

Über Politik und Gesellschaft Ostdeutschlands nach 1989

 

1989/90 markiert die bis heute ausschlaggebendste Zäsur in der Gesellschaftsgeschichte Ostdeutschlands. Alle Sphären der Gesellschaftsformation — ob Arbeitswelt, Geschlechterverhältnisse, Migration und Politikbetrieb — wurden aufgebrochen, durcheinander gewirbelt aber auch neu verschränkt. Diese Entwicklungen brachten den Ostdeutschen endlich individuelle Freiheiten, aber auch oftmals die erzwungene Auflösung ihrer bisherigen sozialen Existenz.

Im Zuge der politischen Wende  verhandelte die letzte SED-Regierung mit der Opposition am zentralen Runden Tisch. Gerd Gebhardt brachte dort die Idee einer Staatsholding ein, welche die Kombinate treuhänderisch verwalten sollte. Aber es sollte alles ganz anders kommen. Die Bürgermeisterin Heidi Knoop  beobachtete die Entwicklungen aus nächster Nähe: In Bad Muskau (Oberlausitz) wurden — wie in vielen anderen Orten der DDR — die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen nachhaltig erschüttert, als unzählige Arbeitsplätze wegfielen und daraufhin viele junge Menschen in den Westen gingen.

Besonders leidvolle Erfahrungen mussten Migrant*innen machen, die als Vertragsarbeiter*innen  in die DDR gekommen waren. Toan Nguyen  kam aus Vietnam nach Freital, um im dortigen Stahlwerk zu arbeiten. Wie alle Arbeitsmigrant*innen verlor er durch den politischen Umbruch von einem auf den anderen Tag seine Arbeit — und damit auch seine Aufenthaltsperspektive. Er konnte aber im Gegensatz zu anderen migrantischen Arbeiter*innen in Deutschland bleiben. Dass so viele Einwander*innen den Osten 1990 verlassen mussten, führte auch zur heutigen besonderen Demographie Ostdeutschlands.

Der Abbruch der bisherigen Staats- und Gesellschaftsordnung brachte auch für die Kulturlandschaft in Ostdeutschland schwere Zeiten. Waren die Kulturhäuser der DDR noch zumeist den Kombinaten angegliedert, standen sie nach deren Abwicklung ohne Finanzierung da. So erging es auch dem DDR-Vorzeigeprojekt des „Hauses der Berg- und Energiearbeiter“, welches sich unter der Leitung von Michael Renner komplett neu aufstellen, aber glücklicherweise nicht schließen musste. Endlich konnte auch eine freie Kulturszene in der DDR entstehen, in welcher Künstler wie Gundermann wirkten.